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Georg Freuler. Augenblick und Wahrhaftigkeit

Samstag, 17. September 2022 – Sonntag, 6. November 2022

Kuratiert von Kiki Seiler-Michalitsi

Der Kunst Raum Riehen zeigt die bisher umfassendste Ausstellung des in Riehen lebenden Fotografen Georg Freuler, der als Meister der sozialen Fotografie gilt. 

1938 in Basel geboren, wuchs Georg Freuler beim Rheinhafen in Kleinhüningen auf, besuchte zunächst die Kunstgewerbeschule Basel mit dem Schwerpunkt Malerei und Grafik und machte später eine Berufslehre als Retuscheur. Unter dem Eindruck der Pioniere der Sozialkritischen Fotografie, vor allem des schweizerisch-amerikanischen Fotografen Robert Frank und dessen einflussreichen Bildbands «The Americans» (1958), befasste sich Georg Freuler fortan mit der Schweizer Fotografie des 20. Jahrhunderts, entwickelte die «Soziale Fotografie» eigenständig weiter und wurde selbst zu einer Fotolegende.

Seit mehr als 60 Jahren fängt Georg Freuler mit seiner Kamera die von der Gesellschaft Ausgestossenen, an deren Rändern Lebenden, in oft skurril anmutender Umgebung ein, bannt die menschliche Existenz in den Armen- und Elendsvierteln der Welt schonungslos und dennoch voller Menschlichkeit auf Fotopapier: in New York oder in Ostasiens Slums, in Amsterdam, Hamburg oder Zürich/Letten, in öden Industrievororten und Hinterhöfen, in den Kneipen Basels. Die Ausstellung zeigt eine grosse Auswahl seiner legendären Schwarz-Weiss Fotografien – sie sind Momentaufnahmen und Zeitdokumente in einem.

Zum ersten Mal öffentlich zu sehen sind dabei die Aufnahmen, die die Trostlosigkeit der offenen Drogenszene auf dem unter dem Namen “Needle Park“ international bekannt gewordenen Zürcher Platzspitz oder in Zürich/Letten zeigen. Georg Freuler schaute das Antlitz des Elends an, die ausgemergelten, geschundenen, mit eitrigen Wunden und Einstichspuren gezeichneten Körper der Süchtigen, einfühlsam und mitleidend – fernab jedes Voyeurismus, als wäre er einer von ihnen. In schutzloser, jedoch niemals entblössender Direktheit schauen uns die Bilder an, schweigsam und mitteilsam zugleich. 

Georg Freuler suchte seine Motive in ihrer angestammten Welt. In nächtlichen Streifzügen durch die Kneipen Basels (Hasenburg, Farnsburg, Schmaler Wurf u.a.) fotografierte er Künstlergrössen wie Kurt Fahrner, Niklaus Hasenböhler, Max Kämpf, Werner Ritter oder Irène Zurkinden: in rauschenden Diskussionen vertieft, ihre manifestierte Überlegenheit der Malerei gegenüber der Fotografie für sich in Anspruch nehmend, saufend. Er fotografierte Bohemiens und in der Gosse gelandete Studenten, Philosophen und Dirnen, Theaterschauspieler, Schriftsteller und Musiker. Er fotografierte Stadtoriginale, Invalide und die vor einem Glas sitzenden, in Vergessen und Trost verheissender Trunkenheit versunkenen, namenlosen Nachtschwärmer, er gab den schäbig gekleideten Unsichtbaren ein Gesicht. Die aus nächtlichem Licht, Schatten und geheimnisvoller Unschärfe komponierten Bilder wirken dramatisch und malerisch, sie rufen Assoziationen mit ikonischen kunstgeschichtlichen Darstellungen von berühmten Absinthtrinkern hervor (Manet, Van Gogh, Gauguin, Picasso u. a.). 

Georg Freulers Faszination für den Menschen mit seinen inneren und äusseren Welten zeigen auch seine Atelierarbeiten: Portraits von Frauen und Männern ganzkörperlich, in klassischer, büstenhafter Frontalität oder im Profil vor kontextfreiem Hintergrund, oft aus dem Dunkel heraus gestaltet. Von beinahe malerischer Qualität, in ihrer anmutigen Haltung, Ausdrucksweise und beeindruckender Einzigartigkeit erinnern sie an die Portraitkunst Rembrandts, an Klimts gemalte Schönheiten.

Besondere Aufmerksamkeit in der Ausstellung verdienen auch Fotografien, die Georg Freuler in New York, in Berlin und Dresden machte. Sie zeigen ästhetische Zufälle am Wegrand, banale Vorkommnisse mit Situations-Charme, wobei sein Augenmerk vor allem den Menschen galt. In Schwarz-Weissästhetik fotografierte er mit seiner Leica arbeitende Menschen, spazierende oder vor Obdachlosen indifferent vorbeihastende Menschen, Menschen vor Waren- und Modehäusern, Schaufenster mit ihren Auslagen. Er fotografierte den Glanz und das Schäbige, die Diskrepanz zwischen Arm und Reich, Krieg-spielende Kinder in klaffenden Baulücken, die Realität in all ihrer Härte.

Das fotografische Werk von Georg Freuler wurde in diversen Ausstellungen und mit mehreren Preisen und Auszeichnungen gewürdigt.

Ausstellungsansichten, Georg Freuler. Augenblick und Wahrhaftigkeit, Kunst Raum Riehen, 2022. Photos: Gina Folly
Alle Fotografien © Georg Freuler